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Niqs Reisen

Verschluckt

Die Geschichte der verschluckten Bankomatkarte.

Der Tag hätte besser nicht beginnen können. Ich stehe früh auf, weil der Jetlag mir den Schlaf raubt. Vor der Morgendämmerung sehe ich den faszinierendsten Sichelmond aller Zeiten. Ich erkenne deutlich den verdunkelten Teil des Mondes, der nicht vom Licht der Sonne erreicht wird. Dann trinken wir erst mal Kaffee im Bett.

Doch der Tag wird noch besser! Wir gehen ins einzige Café, das in unserer Nachbarschaft um 7 Uhr früh schon geöffnet hat. Im Hanoi Corner gibt's Kokosnusskaffee, Spiegeleier (Sunny Side up!), ein Thunfisch-Sandwich und Sommerrollen. Und das alles für 8 €. Ach, Vietnam.

Doch der Tag wird sogar noch besser! Ich will nämlich das erste Mal mein Vietnamesisch üben. "Xin cháo!", rufe ich der Supermarktfrau voller Enthusiasmus zu. "Xin cháo!", freut sie sich.

Wir machen einen soliden Lebensmitteleinkauf, den ich mit einem weiteren vietnamesischen Schmankerl meiner Sprachkunst abschließe. "Cảm ơn!", sag ich der Supermarktfrau, als wir den Supermarkt verlassen. Danke!

Und eigentlich steht nur noch ein Tagesordnungspunkt an: Geld abheben.

Es muss gleich echt etwas Schlimmes passieren, um so einen guten Morgen ruinieren zu können.

Es passiert etwas Schlimmes #

In diesem "Dorf", voller Müll, Streunerhunden, Streunerhühnern und Streunerkücken gibt es einen einzigen Bankomaten. Wie kommt man schließlich sonst zu seiner Kohle?

Und genau wie in Ho-Chi-Minh-City befindet sich dieser in einer berüchtigten Saunakabine. Doch zu unserer Überraschung ist diese Saunakabine sogar klimatisiert. Also eigentlich doch keine Saunakabine.

"Eine gläserne Kabine mit zwei Stufen. Darin befindet sich ein Bankomat, darauf steht auf waldgrünen Hintergrund in weißer Schrift: Vietcombank"

Heute läuft's einfach wie am Schnürchen, denke ich. Und schwupp, schiebe ich meine Bankomatkarte in den grünen Schlitz des Geräts der Vietcombank.

Und es passiert... nichts. Gar nichts. Absolut nichts.

Und erst dann fällt mir der kontinuierliche sanfte Piepton in der Kabine auf. "Nein", sage ich. "Nein, nein", sage ich dann. "Nein, nein, nein", fasse ich zusammen.

Und weg ist sie meine Bankomatkarte.

"Ich halte meine geöffnete Brieftasche aus Leder. Sie hat zwei Fächer. Das obere Fach enthält meinen Personalausweis, das untere Fach ist leer."

Die nächsten Schritte #

Ich beruhige mich etwas nach meiner einsilbigen Erstreaktion, die zugegebenermaßen einen Anflug von Panik enthielt.

Was macht man da? Am Bankomat kleben ganz viele Sticker, die mir irgendetwas auf Vietnamesisch verkünden wollen. Jetzt ist der Moment gekommen, mein Vietnamesisch auf die nächste Stufe zu heben.

Ich zücke meine Übersetzungsapp und tippe alles ein, was die Sticker mir sagen möchten und bringe folgende Informationen zutage:

  • Nummer des Bankomaten
  • Betriebszeit
  • Kundenservice (Call Center)

Bingo! Daneben steht eine Telefonnummer und mein allerliebstes Numeronym: 24/7. Das ist gut, weil heute ist Sonntag. Also zücke ich meine Skype App und rufe an.

Ich bekomme ein Band, und ganz plötzlich ist mein Vietnamesisch erschöpft. Nach dem Teil auf Vietnamesisch folgt ein einziger Satz auf Englisch, den ich akustisch nicht verstehe. Also rufe ich wieder an. Und wieder. Und dann noch ein viertes Mal. Aber die Hauptstraße, an der der Bankomat gelegen ist, ist zu laut. Ich höre es einfach nicht.

Also gehe ich zum Café, das auf der anderen Straßenseite liegt und zücke wieder meine Übersetzungsapp.

Können Sie mir helfen?

Ban co the giup toi khong.

Ich halte meinen Bildschirm der Frau entgegen. Sie nickt. Ich fahre fort.

Der Bankomat hat meine Karte verschluckt.

ATM da lay the cua toi

Sie antwortet und tippt in meine App:

Ban ddi ngan hang moi duoc

Sie können Ihr neues Bankgrundstück verkaufen.

Wie bitte!? Ich denke, sie hat sich vertippt. Sie begleitet mich zum Bankomaten, kann mir aber nicht helfen. Sie gestikuliert und zeigt auf die Sticker.

Später finde ich heraus, dass sie sich tatsächlich vertippt hatte. Was sie eigentlich sagen wollte war:

Ban di ngan hang moi duoc

"Sie können zur Bank gehen"

Das eine "D" war zu viel.

Ich kann zu gar keiner Bank gehen #

Es ist nämlich Sonntag. Ich akzeptiere mein Schicksal und sperre die Karte in meiner Banking-App. Danke, N26, dass das so easy geht. 🙏

"vielleicht sollte ich die nummer noch verzerren."

Wir verweilen noch, weil wir ja doch gerne Bargeld hätten. Also versucht Sophia ihr Glück. Wir entdecken noch zwei Bankomaten, gleich ums Eck an der Hauptstraße.

Wir betreten die Kabine, die diesmal nicht klimatisiert ist (also sind wir diesmal wirklich in einer Saunakabine). Immerhin besitzt das Gerät die Freundlichkeit, nicht sofort Sophias Karte zu verschlucken. Dennoch will es nicht recht funktionieren.

Die Karte wird nicht gelesen, Sophia bekommt jedes Mal eine Fehlermeldung. Nach drei Versuchen zeigt der Bankomat plötzlich folgenden Fehler an und ich zitiere:

ATM temporarily out of order (Bankomat außer Betrieb).

Des is ned dei Ernst, Vietnam.

Es passiert etwas Grandioses #

"Es war doch so ein guter Tag!", denke ich. Und plötzlich taucht eine vietnamesische Frau auf und spricht mich in phänomenalen Englisch an.

"The ATM took your card?", sagt sie. "You can go to the bank."

Dann erzählt sie, dass die Kellnerin von vorhin von meinem Unglück erzählt hat. Wir setzen uns zu ihr an den Tisch, wo ein Mann in seinem besten Alter sitzt.

Ein Weißer. Er beruhigt uns. Alles gut, wir bekommen die Karte zurück. Wo sind denn unsere Mopeds? Wir müssen nur morgen zur Bank fahren und die regeln das.

Patrick stammt aus Irland. Er ist mit Antritt seiner Rente nach Vietnam gekommen, um Urlaub zu machen. Dann kam Covid. Patrick dachte sich, "was soll's". Bleibt er halt hier. Inzwischen lebt er seit vier Jahren in Vietnam.

Seine Frau Demi ist Vietnamesin. Er hat sie auf Phu Quoc kennengelernt. Sie war Zeit ihres Lebens in Australien, was ihr phänomenales Englisch erklärt.

Sie ruft für mich nochmal bei der Bank an, wir plaudern derweil mit Patrick. Demi kommt nicht durch. Doch nix mit 24/7. Dann schreibt sie mir eine kleine Notiz, die ich am nächsten Tag zur Bank mitnehmen soll.

Zum Schluss scherzt David noch:

Alles was wir den ganzen Tag über machen ist hier zu warten, bis jemand vorbeikommt und Schwierigkeiten mit dem Bankomaten bekommt. Und dann sind wir zur Stelle, um sie zu beruhigen.

Wie unfassbar grandios.

Fortsetzung: Ausgespuckt