Heute geht es weiter zum Lake Wānaka. Der Weg führt über die gebirgige Landschaft des Fox Glaciers Richtung Pazifik zur Bruce Bay. Danach führt die Straße ins Landesinnere, vorbei an den Seen Lake Paringa und Lake Moeraki, bevor sie erneut ein gutes Stück an der Küste entlang verläuft.
Über den Haast-Pass geht's zurück ins Landesinnere zum schönen Lake Wānaka.
Aufmerksame Leser:innen dieses Blogs erinnern sich an Julius von Haast, dem wir nicht nur den Namen dieses Gebirgspasses und des Ortes "Haast" verdanken, sondern auch den Namen des Franz-Josef-Gletschers.
Aufbruch vom Haka House #
Nachdem uns Manuel bei unserer letzten Wanderung daran erinnert hat, dass wir ein unorganisierter Haufen sind, geben Sophia, Simon und ich heute alles, um rasch aufzubrechen. Auf keinen Fall wollen wir Manu enttäuschen!
Der Wecker ist auf 8 gestellt, unser Check-out ist um 10.
Trotz der Ambitionen der Gruppe wird es allerdings doch 10:30 Uhr, als wir das Hostel verlassen, tanken und uns dann endlich auf den Weg machen. Manu ist dennoch zufrieden: "Wir brauchen zweieinhalb Stunden um zusammenzupacken. Ist doch gut."
Ich denke, er ist nicht wirklich mit der Aufbruchleistung zufrieden, freut sich aber Bescheid zu wissen, wie lange ein Aufbruch dauert. Erleichtert das Planen in der Zukunft.
Begegnungen #
Beim vergangenen Roadtrip haben wir gelernt, dass wir unglaublich langsam sind und daher nicht bei jeder Gelegenheit stehen bleiben sollten. Immerhin erwarten uns heute 4 Stunden Autofahrt.
Einen kurzen Zwischenstopp am Lake Matheson lassen wir uns trotzdem nicht nehmen. Am Parkplatz gibt es ein zufälliges Wiedersehen mit Lena, die wir am Tag davor bei unserer Wanderung kennengelernt haben.
Nachdem wir die schönsten Postkarten Neuseelands im Souvenirshop kaufen, treffen wir auch Mona und ihre Mum Antje wieder, die wir noch vom Haka House kennen. Neuseeland ist wirklich ein Dorf!
Nach einem kurzen Abstecher zum See geht's zurück auf die Straße.
Roadtrip #
Während der langen Fahrt mache ich einige Beobachtungen zu neuseeländischen Verkehrs- und Hinweisschildern.
Meinem Empfinden nach, geben sich besagte Verkehrsschilder sehr viel Mühe, einem das Autofahren zu versüßen.
Hier eine Auswahl:
- Stop here on red signal (neben einer Ampel).
- Lookout ahead (kurz vor einem Aussichtspunkt).
- Use low gear (vor einem Gefälle).
- One Lane Bridge (vor einer der vielen einspurigen Brücken).
- Test brakes now (während man ein Gefälle herab fährt).
Nicht nur werden Verkehrsteilnehmende an die Grundlagen des Autofahrens erinnert. Zusätzlich wird auf die Schönheit des Landes hingewiesen!
Ich beobachte außerdem Verkehrsphänomene, die mir völlig unbekannt sind:
- Zweispurige Kreisverkehre, die natürlich verkehrt herum verlaufen (im Uhrzeigersinn).
- Schrankenlose Bahnübergänge (in diesem Land gibt keine Bahnschranken).
- Kreisverkehre, die schrankenlose Bahnübergänge beinhalten.
- Zweispurige Kreisverkehre, die schrankenlose Bahnübergänge beinhalten.
Und natürlich: unglaublich viele tote Tiere auf den Straßen.
Bei den vielen toten Tieren handelt es sich unserer Einschätzung nach oft um Possums, die nicht mit den in Amerika ansässigen Opossums zu verwechseln sind. Possums sind nachtaktive Beuteltiere, die wohl nach Einbruch der Dunkelheit vergessen, beim Überqueren der Straße nach links und rechts zu schauen.
Oft sind es auch Hasen, die überfahren werden. In beiden Fällen ist es wohl laut den hier lebenden Menschen nicht schade darum. Immerhin stellen beide Tierarten hier Plagen für die Vögel dar, ernähren sie sich doch gerne von deren Eiern.
Manu und ich teilen uns die lange Strecke. Heute macht das Autofahren extrem viel Spaß. Die Musik ist gut, das Kurvenfahren am Berg ist aufregend und ich merke endlich, wie ich mental in Neuseeland ankomme.
Es gibt nur eine Straße #
Nach stundenlangem Kurvenfahren durch die Berge sehen wir plötzlich das Blau des Pazifiks. Wir machen eine kurze Pause, um Ozeanluft zu schnuppern, als Lena mit ihrem Campervan vorbeifährt. Wir winken ihr zu und freuen uns sie schon wieder zu sehen. Was für ein Zufall!
Jetzt geht es zurück ins Landesinnere. Beim nächsten Halt, dem Lake Paringa, treffen wir sie erneut. Sie erzählt uns vom Monro Beach, den man vom nächsten Stopp aus erreichen kann. Dort soll es Pinguine geben!
Keine 15 Minuten später und wir finden uns an besagtem Stopp wieder. Beim Startpunkt der Wanderung treffen wir wieder Mona und Antje. Wie kann das sein? Langsam dämmert es mir: Die Westküste entlang gibt es nur eine Straße.
Wir entscheiden uns gegen die Wanderung, sonst kommen wir nie in Wānaka an. Unserer Mittagspause machen wir also nicht am Monro Beach. Trotzdem macht Simon eine überraschende Entdeckung, als er unten am Fluss steht: "Guys, there are penguins!" ruft er und zeigt den Fluss hoch.
Manu und Sophia sind ganz aufgeregt und laufen zu ihm. Doch ich rieche den Braten schon. Es ist kein Pinguin in Sicht. Simon, der Schlingel, wollte sich nur einen Spaß mit uns machen.
Tauparikākā Marine Reserve #
Erneut wird aus dem gebirgigen Urwald eine urwaldige Küstenstraße. Die Straße geht bergab und die Aussicht auf den Ozean ist atemberaubend.
Der Pazifik ist so blau, dass man nicht sagen kann, wo der Ozean aufhört und wo der Himmel anfängt. Mächtige Felsen ragen vor der grünen Küste empor.
Als wir bei Tauparikākā stehen bleiben, sind wir dem Ozean richtig nahe. Manu und Simon stürzen nur so aus den Autos und laufen einen kleinen Aussichtsturm hoch. Sophia und ich laufen hinterher und hören Simon rufen: "There are dolphins!".
Erst glaube ich ihm natürlich nicht, dem Schlingel. Doch Manu bestätigt und plötzlich rennen wir alle zum Strand. In diesem Moment fühlt sich das Leben nach einem großartigen Abenteuer an.
Vor weniger als 3 Stunden waren wir noch im tiefsten Gebirge und jetzt laufen wir am weißen Strand den Ozean entlang. Delfinen hinterher.
Und das am anderen Ende der Welt!
Zurück zum Knights Point Lookout #
Wir entscheiden zum Aussichtspunkt von vorhin zurückzufahren und den fantastischen Blick am Knights Point Lookout zu genießen.
Manu hat seinen Moment und übernimmt nicht nur die Kontrolle des Autos, sondern auch die Kontrolle der Soundanlage. Zu den rhythmischen Beats von Macklemore's Day You Die und Fred again's Delilah (pull me out of this) schießen wir bei 100 Sachen zurück die Landstraße hoch. Die Fahrt nach oben ist gefüllt mit purem Adrenalin und erinnert mich daran, warum Autofahren erfunden wurde: Um laut Musik zu hören und das Gaspedal ganz fest durchzudrücken.
Oben angekommen sehen wir das malerische Bild von vorhin. Es ist kaum zu fassen. Das Blau des größten Ozeans und seinen schaumigen weißen Wellen, wie es sich mit dem Blau des Himmels und den weißen Wolkenfetzen zu einem einzigen großen Ozean (oder einem einzigen großen Himmel) vermischt.
Die grüne Küste mit den weißen Stränden bietet einen wunderschönen Kontrast zu dem vielen Blau. Die Felsen vor der Küste setzen dem Ganzen noch das Sahnehäubchen auf.
In diesem Moment höre ich hinter mir eine Stimme: "Look, a whale!". Ich lache innerlich über Simon und seine dummen Späße und sage einfach "Oh, shut up!".
Als ich mich dann umdrehe und weit und breit kein Simon zu sehen ist, sondern nur ein korpulenter Herr in seinen besten Jahren mit seiner Frau, werde ich plötzlich rot. Habe ich doch tatsächlich diesem fremden Menschen den Mund verboten.
Ich entschuldige mich mehrere Male und Sophia muss laut lachen.
"Ah, don't worry, mate" meint er nur. "I just wanted to tease, anyway."
Lake Wānaka #
Wir lassen den Ozean hinter uns und fahren den Haast-Pass entlang. Manu betont mehrere Male, dass er diesen Gebirgspass um einiges schöner als den renommierten Arthur's Pass findet.
Überhaupt werden wir Manu die letzte Stunde vor unserem Ziel noch oft über die Schönheit dieses Landes schwärmen hören. Sobald wir nämlich die ersten Ausläufer des Lake Wānaka erreichen, wird die Landschaft dermaßen schön, dass es hart an Kitsch grenzt.
Das Blau des Wānaka-Sees erinnert an ein tiefes Meeresblau. Davor sehen wir die grüne Küste am Ufer. Im Hintergrund eine friedliche Berglandschaft. Wir sehen braune Berge aus Schiefergestein, die in der Ferne blässer werden. Die Berge verschwimmen förmlich ineinander. Mit der Lichtstimmung zur späten Stunde betteln sie uns förmlich an, fotografiert zu werden.
Die restliche Fahrt über kann Manu nicht aufhören, die Landschaft zu kommentieren:
- "Boa ey, krass! Guck doch mal dieses Licht an."
- "Krass! Die Berge dort hinten! Seht euch das doch mal an!"
- "Wow! Das sieht wirklich nicht echt aus. Das sieht aus, als hätte das eine AI generiert."
Manchmal überschlägt sich seine Stimme vor lauter Freude. "Krass!" hören wir wieder und wieder. Ich bezeichne Manus Ausschweifungen von nun an als "das Manu-Narrativ".
Und als sein Vokabular endlich ausgeschöpft ist und er keine weiteren Adjektive findet, um diese Schönheit in Worte zu fassen, fahren wir über einen Hügel und lassen den Lake Wānaka hinter uns.
Ratet doch mal, was wir hinter dem Hügel zu sehen bekommen.
"Da is ja noch'n See!" ruft Manu.
Und das Manu-Narrativ ist wieder in vollem Gange.
Roadtrip an der Westküste #
Zum Abschluss unseres Roadtrips gibt es eine Erkenntnis: Trotz aller Bemühungen, wenige Zwischenstopps zu machen, um die Fahrt nicht in die Länge zu ziehen, ist es bei der Schönheit der Westküste unmöglich.
Für eine geplante vierstündige Fahrt benötigen wir fast neun. Ab sofort gibt es keine Roadtrips mehr, die länger als drei Stunden dauern, schwören wir uns feierlich.
Wer übrigens die Schönheit der Westküste als Hörbuch erleben will, der möge sich melden. Vielleicht schaffe ich es ja noch, Manu zu überzeugen, sein berüchtigtes Narrativ als Podcast zu veröffentlichen. 🎧