Die meisten scheinen einander schon zu kennen. Das ist auch die Idee einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, die allesamt Teil einer WhatsApp-Gruppe namens "Siargao Digital Nomads" sind. So richtig in Gang kommen die GesprÀche allerdings erst, als wir alle im Boot sitzen. Dann bin ich grade im Inbegriff Philippe die Frage aller Fragen zu stellen:
Und, was ist deine Geschichte?
Kann auch sein, dass ich ihm eine typisch blöde Niq-Frage stelle, wie "Was ist deine Lieblingsinsel?", weil auf seinem T-Shirt groĂ "Siargao" drauf steht. Doch dann, genau dann, höre ich das ohrenbetĂ€ubende GerĂ€usch. Ein lautes Dröhnen, das mich sofort an Presslufthammer denken lĂ€sst, beendet unser GesprĂ€ch abrupt. Unsere philippinischen KapitĂ€ne starten den Motor des blau-weiĂen Bootes und die nĂ€chste Stunde lang ist Dank dem gnadenlosen LĂ€rm keine weitere Unterhaltung denkbar.
Was ist deine Geschichte? #
Die Kurzfassung der Geschichten dieser Gruppe an EuropÀern (und zwei Filipinos), mit denen wir heute ein "Island Hopping" vor den Inseln Siargaos machen, lauten wie folgt:
- Miguel ist Filipino. Er arbeitet als Grafikdesigner und kommt aus Tagaytay, sĂŒdlich von Manila, unweit des Taal Vulkans. Genau, dem Vulkan auf einer Insel auf einem See auf einer Insel in einem See auf einer Insel.
- Wesson ist ebenfalls Filipino. Er kommt aus Vigan City, das im nordwestlichen Luzon liegt, jenseits der mystischen Mountain Province. Er arbeitet im Labor und lebt erst seit einigen Wochen auf Siargao.
- (Die andere) Sophia kommt aus Wien. Oh ja, wir haben tatsĂ€chlich jemanden aus Ăsterreich kennengelernt. Sie arbeitet in der Kinderpsychiatrie in der Klinik Floridsdorf und ist sieben Monate lang auf Bildungskarenz.
- Henrik ist Schwede. Er reiste eine Zeitlang in Neuseeland und am Weg zurĂŒck nach Europa verbringt er einige Wochen auf Siargao.
- Jennifer kommt aus Deutschland. Sie unterrichtet online Psychologie und reist mit Pause seit 2020.
- Philippe ist Mathematiker aus der Schweiz. Er macht aktuell einen lÀngeren Forschungsaufenthalt an der chinesischen Uni Shenzhen und reist zwischendurch ein bisschen.
- Martin stammt aus Polen und ist seit sieben Jahren digitaler Nomade. Nachdem er nun zwei Jahre auf Bali gelebt hatte, suchte er ein neues Zuhause in der Welt. Siargao ist eine Option.
Als ich gemeinsam mit einem Boot voller vorwiegend hellhĂ€utiger GlĂŒckspilze die erste Insel des heutigen Ausflugs ansteuere, werde ich nachdenklich. Was haben wir eigentlich alle fĂŒr ein verdammtes GlĂŒck?
Mamon Island #
Die weiĂen StĂ€nde strahlen. Das Wasser ist dermaĂen blau, wie blau nur sein kann. Mamon ist ein Inselparadies, das seinesgleichen sucht.
Kurz nach Ankunft werfen wir uns ins kĂŒhle Nass. Martin ist diese Sorte Mensch, die sich selbst gerne reden hört, was ihn recht unsympathisch wirken lĂ€sst. Ich zweifle daran, dass ihn die Geschichten der anderen so sehr interessieren wie mich. Dennoch höre ich ihm zu, weil ich dem Lebensstil des digitalen Nomadentums direkt was abgewinnen kann und nach sieben Jahren in SĂŒdostasien weiĂ er einfach Bescheid.
Bali wurde ihm zu touristisch. Die Natur auf der Insel ist zwar atemberaubend, doch lĂ€sst es sich wegen der Menschenmengen nicht mehr aushalten. Martin kann sich eine Zukunft auf Siargao vorstellen. Eines der gröĂten Probleme sieht er allerdings bei der Stromversorgung. Die Insel wurde in den vergangenen Jahren immer beliebter und entsprechend sind die AnsprĂŒche an die Energieversorgung gestiegen. Mit der Geschwindigkeit konnte Siargao nicht mithalten und als Konsequenz sind regelmĂ€Ăige StromausfĂ€lle die Konsequenz. Bei der Fluktuation des Stormnetzes kommt es daher immer wieder zu Spannungswechseln und das ist pures Gift fĂŒr elektronische GerĂ€te. Der Laptop der anderen Sophia wurde die Tage erst einem solchen Spannungswechsel zum Opfer. Martin meint leger, dass ihr Mainboard "gefried" (durchgebrannt) wurde und es gĂ€be Stromadapter, die dafĂŒr sorgen, dass die Spannung auf einem konstanten Level gehalten wird.
Miguel frage ich ĂŒber die Philippinen aus. Ich bin ganz ĂŒberrascht darĂŒber, dass er sich dem Irrglauben anschlieĂt, als hĂ€tte die USA die Philippinen von den spanischen Besatzern befreit. "Benevolent assimilation" nannte US-PrĂ€sident McKinley im Jahr 1898 die Besetzung des Landes durch die US Army. TatsĂ€chlich war die "wohlwollende Einverleibung" nur ein Euphemismus fĂŒr genau dasselbe was die Spanier vor ihnen auf den Philippinen getrieben hatten: Imperialismus.
Dennoch lerne ich noch etwas von Miguel ĂŒber sein Land. NĂ€mlich, dass auf den philippinischen Inseln ĂŒber hunderte Sprachen gesprochen werden. Chavacano findet er besonders interessant, eine Kreolsprache, die auf Spanisch basiert und ĂŒbersetzt so viel wie "vulgĂ€r", "gewöhnlich" oder "ordinĂ€r" bedeutet.