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Niqs Reisen

Kiril, Seesterne und digitales Nomadentum

Ein Besuch des Starfish Beaches.

"Brrrrrrr", macht Moperl. Die Straße ist wild. Faustgroße Steinbrocken schmücken den unasphaltierten Weg. Die Luft ist trocken, der Weg ist rostfarben und erinnert an die australische Marslandschaft.

Um uns herum staubt es nur so. "Da liegt ein Schlapfen!", ruf ich meiner Beifahrerin Sophia zu, die hinter mir sitzt. Wir passieren ein Regierungsgebäude mit riesigen Toren, das die ganze Pracht des Kommunismus in sich zu tragen scheint. Ein Soldat lächelt und winkt Sophia zu.

"Ich fahre am Moped eine rostfarbene, unbefestigte Straße entlang."

Heute fahren wir zum Starfish Beach, dem Strand auf Phu Quoc, an dem es doch tatsächlich Seesterne geben soll. Die Vegetation jenseits des Straßenrandes ist grün und bewaldet. Das Mopedfahren regt meinen Gedankengang an.

Ich muss an den heutigen Morgen denken. Als wir aufwachen, sind Wi-Fi und Klimaanlage aus. Wie sich später herausstellt, ist das ganze Dorf ohne Strom. Kriegen wir dann überhaupt ein Frühstück?

Die nette vietnamesische Inhaberin des Lokals "La Casa" lässt sich nichts anmerken. Sie lächelt munter und wir bekommen trotz der Umstände Avocado Toast und Egg Coffee (Espresso, der mit Eigelb und Kondensmilch vermischt wird). Wir überlegen, was ein Stromausfall für dieses Land bedeuten muss. Alle Klimaanlagen fallen aus, alle Eiswürfel, die für jedes Getränk des Landes benötigt werden, schmelzen. Das ganze Land fällt aus!

Doch heute Morgen ist das hier nichts Besonderes. Dann beobachte ich die anderen Gäste des Lokals. Ich bemerke ein russisches Paar und mir fällt ein, dass ich schon einige Russen hier gesehen habe. Machen sie schon seit Jahrzehnten hier Urlaub dank der kommunistischen Gemeinsamkeit der beiden Länder?

"Rums!", macht es plötzlich und ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Ich hab wohl einen Steinbrocken erwischt.

Der Mann im gelben Unterhemd #

Nach einiger Zeit überholt uns ein Moped. Darauf sitzt ein Mann mit gelbem Unterhemd, eine Frau und ein Kind. Ihre Hautfarbe verrät, dass sie hier auch nur zu Besuch sind.

Als wir uns dem Ozean nähern, bekommen wir Begleitschutz. Eine vietnamesische Frau, dessen ganzer Körper bis auf das Gesicht verhüllt ist, passt uns ab. Sie begleitet uns bis zum Strand. Als wir vom Moped absteigen, kommt sie prompt zum Geschäft. 400.000 Dong (15 €) möchte sie für die Überfahrt zum Starfish Beach, was unerhört teuer wirkt.

Wir brechen wieder auf, weil wir bemerken, dass wir wohl einen Strand zu früh abgebogen sind. Hier will man uns abzocken. Doch die Frau lässt nicht locker und verfolgt uns noch einige Zeit lang. Ein "Nein" scheint sie nicht akzeptieren zu wollen. Als wir den zweiten Strand erreichen, verschwindet sie, genauso plötzlich wie sie auftauchte.

Ich erkenne den Mann mit dem gelben Unterhemd von vorhin. In äußerst gebrochenem Englisch spricht er uns an und fragt, ob wir nicht gemeinsam zu den Seesternen fahren wollen. Zu fünft würde es weniger kosten, meint er.

Wir finden den Vorschlag grundsätzlich gut, doch müssen wir uns erst stärken. Ein Holzsteg führt vom Strand zu einigen Häusern auf Stelzen, die über dem Wasser gebaut wurden. Wir bestellen Café und Cola und müssen erst mal rasten.

Kaum fünfzehn Minuten vergehen und der Mann in gelbem Unterhemd samt Familie taucht wieder auf. Doch auf einmal ist er auf einem Boot, das von einem Vietnamesen gesteuert wird. Sie holen uns am Wasserweg ab und drängen uns einzusteigen.

Die Überfahrt zum Starfish Beach #

500.000 Dong (18 €) sollen Hin- und Rückfahrt kosten. Dabei gibt es nur ein Problem. Die Vietnamesen vertrauen uns nicht und wir vertrauen ihnen nicht. Der Mann im gelben Unterhemd versucht einen Deal auszuhandeln. Doch es bleibt bei gegenseitigem Misstrauen.

Die Sprache, die der Mann mit seiner Familie spricht, verleitet zur Annahme, dass es sich um Russ:innen handelt. Die Übersetzungs-Apps laufen heiß. Von Russisch zu Vietnamesisch, von Vietnamesisch zu Russisch. Von Deutsch zu Vietnamesisch, von Vietnamesisch zu Deutsch.

"Ich sitze im Boot und schaue auf mein Handy, das von einer vietnamesischen Frau gehalten wird."

Dann kommt mir die Idee, wie wir dieses Problem lösen können. 200.000 jetzt, 300.000 später. Da willigen sie ein.

"Sophia lächelnd im Boot in ihrer orangefarbenen Schwimmweste"

Auf der Überfahrt erfahren wir, dass die Familie nicht russischer, sondern weißrussischer Abstammung ist. Sie kommen aus Minsk. Der Mann im gelben Unterhemd heißt Kiril, seine Frau Nadja und ihr Kind Vica. Viel mehr lässt sich aufgrund der Sprachbarriere fürs erste nicht in Erfahrung bringen.

Starfish Beach #

Es ist wie es der Name vermuten lässt. Ein Strand, in dessen seichtem Wasser es vor Seesternen nur so wimmelt.

Mit so einem Versprechen kann es allerdings auch nur vor Touristen so wimmeln. Es gibt eine Hängematte, die im Wasser an zwei dicken Holzpflöcken befestigt wurde. Es gibt eine Schaukel, die am Strand an einem Baum befestigt wurde, vor der die Menschen Schlange stehen, um das perfekte Foto für Instagram zu machen. Es werden Jetski-Fahrten zu überteuerten Tarifen angeboten.

"Ein dunkelroter Seestern mit schwarzen Punkten liegt im klaren seichten Wasser."

Wir gehen in Unterwäsche ins Wasser, weil uns Kiril etwas überfallen hat und wir unsere Schwimmsachen im Kofferraum des Mopeds zurückgelassen haben. Wir sehen die wunderschönen Seesterne, wie sie im Wasser zu faulenzen scheinen. Ich verurteile jeden einzelnen Touristen, der die Seesterne anfasst, sie aufhebt und mit ihnen für ein Foto posiert.

Schlussendlich ist es schon okay, dass wir nur eine Stunde hier sind. Ob der Typ dann wirklich auftaucht und uns wieder zurückbringt?

Digitales Nomadentum #

Wenige Minuten nach 12 taucht er auf und macht das Boot so voll, dass ich befürchte sinken zu müssen. Bei der Rückfahrt erzählt Kiril in seinem gebrochenem Englisch und mit Unterstützung seiner Übersetzungs-App, dass sie hier auf Phu Quoc auf Safari waren. Es gibt Giraffen und Elefanten. Sonderbar.

Dann erzählt er, dass er von Vietnam aus arbeitet. Jetzt am frühen Nachmittag, nach diesem Abenteuer am Starfish Beach, macht sich Kiril wieder auf den Weg zurück in die Unterkunft. Seine Kolleg:innen in Minsk werden langsam munter. Eigentlich gar nicht so verkehrt, denke ich. Die 5 Stunden Zeitverschiebung wirken im ersten Moment problematisch, aber wenn man seinen Rhythmus anpasst, ist das definitiv gut machbar.

"Am Steg mit Kiril und seiner Familie. Ich stehe neben Sophia, Nadja, Vica und Kiril"

Als wir Kiril von unserer glücklichen Lage, genannt Bildungskarenz, erzählen kriegt er ganz große Augen. Wir erzählen von Neuseeland, von Australien, von dem einen Monat, den wir in Vietnam geplant haben, und dass wir danach noch lange nicht mit unserer Weltreise fertig sind. Kiril ist ganz angetan und freut sich über unser unglaubliches Glück.

Der Weg zurück #

Bei der Heimfahrt passieren wir erneut das Regierungsgebäude mit seinen riesigen Toren. Der Soldat lächelt wieder und winkt Sophia zu.

Was für ein Tag!