Im April 1860 erreichte John McDouall Stuart während seines zweiten heroischen Versuchs, Australien von Süden nach Norden zu durchqueren, das beinahe wasserlose Zentrum des Kontinents, ungefähr in der Mitte zwischen dem heutigen Daly Waters und Alice Springs. Eintausend Meilen von allem entfernt, war es das »Nonplusultra der Trostlosigkeit«, wie Stuarts Entdeckerkollege Ernest Giles einmal so hübsch formulierte, und Stuart und seine Männer waren durch die Hölle gegangen, um dorthin zu gelangen. Seit Monaten unterwegs, krank, zerlumpt und halb verhungert, hatten sie aber wenigstens die Genugtuung, die ersten Fremden zu sein, die das grausame Herz des Kontinents durchquerten.
Stellen Sie sich jedoch ihre Überraschung vor, als sie in der Mitte dieses sengenden Nichts drei Aborigine-Männern begegneten, die sie mit einem Geheimzeichen der Freimaurer begrüßten. Stuart sagte in seinem Tagebuch nicht, welches, doch aus seiner erstaunten Beschreibung wird klar, dass er es nicht für Zufall hielt. Ein paar Tage später fand die Expedition Pferdespuren, die einem natürlichen Pfad über die Steppe folgten. Als sie dann noch ein Stück weiter ihr Nachtlager aufschlugen und sich ein junger Mann aus Stuarts Gruppe, W. P. Auld, hinsetzte, die Schuhe auszog und die schmerzenden Füße rieb, kniete sich ein Warramunga-Mann aus einer Gruppe, die sie dort trafen, vor ihm hin, zog ihm zu seiner Verwirrung die Schuhe wieder an, band vorsichtig, aber geschickt die Schnürsenkel und lehnte sich dann mit einem breiten, zufriedenen Lächeln zurück. Stuart und seine Männer mussten zu ihrem Leidwesen erkennen, dass sie nicht die ersten Weißen sein konnten, die ins Herz des Kontinents vorgedrungen waren. Wer war ihnen zuvorgekommen? Das ist bis heute ein ungelöstes Rätsel.
— Bill Bryson, Down Under (dt. Frühstück mit Kängurus)
Ich lese Sophia aus meinem Buch vor, als wir über das karge Zentrum des australischen Kontinents fliegen. Wenn wir aus dem Fenster schauen, sehen wir einen roten Planeten unter einem blauen Himmel. Dunkle Landstriche ziehen sich durch die endlose Röte. Am Himmel steht keine Wolke. Sind wir noch auf der Erde?
Das Flugzeug ist halb leer. Der Sitzplatz am Notausgang bietet die Beinfreiheit, an die ich mich mit meiner Körpergröße gewöhnen könnte.
Wir trinken Bier während ich glücklich an meinem Blog arbeite. Das Bier kostet drei Dollar. Als ich der Flugbegleiterin den letzten Rest meines australischen Geldes gebe, gibt sie mir ein Zeichen, das ich kurz warten soll. Dann bekomme ich das Retourgeld in vietnamesischen Dong.
Wir schauen wieder aus dem Fenster. Ein massiver Fluss kämpft sich durch die leblose Landschaft. Nah an der Erdoberfläche stehen Wolkenfetzen.
Weil Australien so riesengroß und trocken und die Landschaft schwer zu erforschen ist und weil es bei der bescheidenen Zahl an Einwohnern natürlich verhältnismäßig wenige Wissenschaftler für so viel zu erforschendes Terrain gibt, doch vor allem, weil die Tiere darauf und darin oft klein, verborgen, nachtaktiv und mysteriös sind, weiß selbst heute noch niemand so recht, was es da draußen alles gibt. Jede Liste australischer Wildtiere und -pflanzen ist durchsetzt mit Kommentaren wie »vermutlich ausgestorben« oder »wahrscheinlich bedroht« oder »überlebt vielleicht in einigen entlegenen Gebieten«. Sehr anschaulich werden die Probleme an dem ungewissen Schicksal des Oolacunta oder Wüstenrattenkängurus. Fast alles, was man über diese interessanten Lebewesen weiß, stammt von zwei Männern. Der erste war ein Naturforscher aus dem neunzehnten Jahrhundert, John Gould, der das Tier 1843 studierte und beschrieb. Er behauptete, es habe die Gestalt und das Verhalten eines Kängurus, doch die Größe eines Kaninchens. Insbesondere zeichne es sich durch die Fähigkeit aus, ungewöhnlich lange Strecken sehr schnell laufen zu können. Nach jenem ersten Bericht Goulds wurde das Oolacunta nicht wieder gesichtet. Auf tritt Hedley Herbert Finlayson.
Er war von Beruf Chemiker, widmete aber einen Großteil seines Lebens der Suche nach seltenen einheimischen Tieren. 1931 leitete er eine Expedition, die hoch zu Ross tief ins Innere vordrang. Als diese in dem nie erlöschenden Hochofen, der sich Stuart's Stony Desert nennt, ankam, sahen sie zu ihrer Verblüffung, dass das kleine Wüstenrattenkänguru alles andere als kurz vorm Aussterben oder vielleicht sogar schon gänzlich verschwunden war. Im Gegenteil, es schien sich bester Gesundheit zu erfreuen, und seine Schnelligkeit und Ausdauer entsprachen dem, was Gould berichtet hatte. Als Finlayson und seine Männer einmal eines zu Pferde jagten, rannte es, ohne anzuhalten, zwölf Meilen durch die sengende Tageshitze. Die Pferde musste man dreimal wechseln. Sehr gut möglich, dass das kleine Oolacunta, dieser Winzling, der schnellste Flitzer (na, der heißeste Hüpfer) war, den das Tierreich je hervorgebracht hat. Zurück in der Zivilisation, berichtete Finlayson über seine aufregende Entdeckung, und Naturforscher und Zoologen korrigierten brav ihre Texte, um die Wiederentdeckung des Wüstenrattenkängurus zu melden. Doch als Finlayson 1935 zurückkehrte, war er, wie Sie sich vorstellen können, völlig konsterniert, weil sich das kleine Wüstenrattenkänguru stillschweigend verabschiedet hatte - so spurlos wie nach der einmaligen Begegnung mit Gould. Es ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.
— Bill Bryson, Down Under (dt. Frühstück mit Kängurus)
Am heutigen Tag komme ich auf vier Mahlzeiten:
- Ein Frühstück, das wir vor dem Abflug zu uns nehmen.
- Ein Mittagessen, das uns im Flugzeug serviert wird (um 12:40).
- Ein Abendessen, das uns zu späterer Stunde serviert wird (um 17:30 bzw. 14:30 nach vietnamesischer Zeit).
- Ein zweites Abendessen, das wir nach Ankunft in Vietnam zu uns nehmen werden. Natürlich kann ich das Abendessen im Flugzeug nach neuer Zeitrechnung wohl tatsächlich nur als "Nachmittagssnack" werten.
Heute verlassen wir Australien. Der Blick aus dem Fenster erinnert mich, dass dieses Land noch viel zu bieten hat. Die karge, unbesiedelte, lebensfeindliche Landschaft im Zentrum des Kontinents löst bei mir neue Faszination und Respekt vor dem Land aus.
Grund genug, Sophia so viel aus dem fantastischen Buch "Down Under" vorzulesen. Doch von allen Dingen, die ich vom Buchautor Bill Bryson lerne, gibt es eine Sache, die mich wirklich noch lange beschäftigen wird.
Dem bescheidenen Umstand, dass wir heute auf diesem Planeten existieren und atmen können, verdanken wir Cyanobakterien die seit 3,5 Milliarden Jahren als eine der ersten Lebensformen auf der Erde auftreten. Unter optimalen Bedingungen, im seichten Wasser einer westaustralischen Bucht namens Shark Bay zum Beispiel, bringen sie das Wasser zum Blubbern. In jener Bucht, ist das Wasser einerseits salzig genug, um sich natürliche Feinde, wie z.B. Schnecken vom Leibe zu halten.
In jener Bucht, ist andererseits das Wasser seicht genug, sodass die mikroskopisch kleinen Lebewesen sich sonnenbaden können. Sie nehmen Kohlendioxid-Moleküle auf, um diese mit der Energie der Sonne zu kombinieren und Sauerstoff zu erzeugen. Als Konsequenz dieses Vorganges steigen Blasen auf und der Sauerstoff wird an die Atmosphäre abgegeben. Da die Cyanobakterien ihrer Aufgabe nicht müde werden, gelingt es ihnen nach 2 Milliarden Jahren genug Sauerstoff zu produzieren, dass der Sauerstoffanteil der irdischen Atmosphäre auf 20 Prozent steigt.
Ein Nebenprodukt dieses Vorgangs sind Sedimentablagerungen, die als Stromatolithen bezeichnet werden uns sich in Form von Gesteinen im Wasser bilden. Sie sind heute noch Zeugnis für die Entstehung von Leben auf der Erde. Somit ermöglichen diese bescheidensten aller Mikroorganismen, dass sich komplexere Lebensformen entwickeln können.
Ich möchte mich hiermit nicht nur bei Cyanobakterien bedanken, dass sie das Leben auf der Erde ermöglichen, sondern auch bei Bill Bryson, der mir so viel über dieses fantastische Land beigebracht hat.
Als wir den Kontinenten überfliegen und wieder die Küste erreichen und somit Australien endgültig hinter uns lassen, denke ich an die Stromatolithen, von denen es nur noch an wenigen Orten auf dieser Welt lebendige Vorkommen gibt.
Und dann denke ich, Australien, das war noch nicht alles. Ich komme wieder.