Heute ist der Tag gekommen. Wir starten unseren Roadtrip rund um die Südinsel Neuseelands.
Stand der Dinge: Auto am Vorabend gebucht, Routenplanung nicht vorhanden, kein Plan wo wir heute Nacht schlafen werden.
Oja und Manu war beim Friseur. Er wird die kommenden Tage das eine oder andere Mal erwähnen, dass seine Haare zu kurz geschnitten wurden.
Bevor wir also zum Flughafen Christchurch aufbrechen, um dort unseren Geländewagen abzuholen, müssen wir uns zuerst stärken. Mein äußerst teures Frühstück, bestehend aus Schakschuka und einem schickem Flat White erinnert mich daran, dass ich langsam in den Geldsparmodus wechseln muss.
Und das (für neuseeländische Verhältnisse) sehr urbane Christchurch erinnert uns alle daran, dass wir endlich der Stadt entkommen wollen.
Sophia beweist ihr Talent dafür eine Unterkunft zu finden, die genau auf unsere Bedürfnisse eingeht:
- Günstig.
- Bergig.
- Hüttig.
Auf Google Maps stellt sich diese einfach nur als "Forest Lodge" vor.
Passt!
Links, links, links #
Nach einem viel zu anstrengenden Ausflug in die Welt des Lebensmittelkonsums, müssen sich die Landstraßen Neuseelands auf einiges gefasst machen. Es sind nun nämlich ungeübte Mitteleuropäer am Steuer eines Autos, das Teil eines spiegelverkehrten Verkehrssystems ist, das ihnen völlig unbekannt ist.
In Neuseeland herrscht also Linksverkehr. So weit so gut.
Als Konsequenz ist auch das Innere des Fahrzeuges spiegelverkehrt angelegt:
- Der Fahrer sitzt auf der rechten Seite.
- Die Schaltung wäre dementsprechend links vom Fahrer (fahren aber Automatik).
- Die Hebel für Blinker und Scheibenwischer sind ebenfalls vertauscht.
- Glücklicherweise sind zumindest Gaspedal und Bremse da wo sie hingehören.
Das mag alles trivial klingen, doch für uns bedeutet es ein Brechen mit Gewohnheiten. Es bedeutet das Neudefinieren eines tiefsitzenden Weltbildes. Und es bedeutet, dass wir noch viele Male unsere Windschutzscheibe reinigen werden, wenn wir eigentlich einen Richtungswechsel ankündigen wollen.
Da Manu am ersten Tag die Ehre hat, das Steuer zu übernehmen, bekomme ich die nicht minder ehrwürdige Aufgabe, ihn regelmäßig zu erinnern, die richtige Spur zu nehmen, oder den richtigen Hebel zu bedienen.
Wir einigen uns auf das universell gültige Kommando "Links, links, links".
Ein Hoch auf den Linksverkehr!
Eine Hütte im Wald #
Nach eineinhalb Stunden Fahrt auf Straßen die sich um die schöne Berglandschaft von Canterbury schlängeln, erreichen wir unsere Unterkunft.
Die Forest Lodge ist eine rustikale Holzhütte, die keine Wünsche offen lässt. Sie verfügt über einen großen Aufenthaltsraum, in dem Tische, eine Sofa-Landschaft und eine handverlesene Sammlung an Brettspielen zu finden sind.
Anschließend daran ist eine voll ausgestattete Küche mit Gasherd, Spüle, Geschirr und allem Erdenklichen was man zum Kochen benötigen könnte wie Töpfe, Pfannen und Kochgeschirr. Auch Duschen mit Warmwasser und WCs mit Spülung sind vorhanden.
Es wird noch besser. Die Forest Lodge hat 7 Zimmer zu je 8 Personen. Alle Zimmer tragen Namen der Nistplätze einheimischer Vögel wie "Fantail", "Bellbird" oder "Tui".
Wir kommen im "Kea Nook" unter.
Oh und habe ich den großartigen Ausblick erwähnt?
Hier gefällt es uns.
Simon #
Bei unserer Ankunft im Aufenthaltsraum treffen wir auf zwei Mädels und einen Typen. Die Mädels spielen grauenvolle Musik auf ihrem Handy ab. Der Typ grüßt uns freundlich.
Als wir später unser einfallsreiches Abendessen zubereiten (es gibt Pasta mit Tomatensauce) ist nur noch der Typ von vorher in der Küche. Er isst in Ruhe seinen Salat. Wir sind anfangs noch schüchtern und schweigen einander an.
Doch dann macht er den ersten Schritt.
Wir müssen nur wenige Sätze austauschen bis mir klar wird: dieser Typ gefällt mir.
Der "Typ" ist dann plötzlich nicht mehr der "Typ". Dieser "Typ" ist Simon.
Simon ist einfach sympathisch. Wenn er spricht, lächelt er. Er hat einen rasierten Kopf und trägt einen kurzen, dunklen Bart. "So, where you guys from?" fragt er. Als wir ihm dann von unseren deutschen und österreichischen Herkünften erzählen wechselt er prompt in's Deutsche.
Simon ist allerdings kein Deutscher, er ist Franzose und hat in seiner Schulzeit Deutsch gelernt. Er arbeitet als Psychiater, ist aber wie wir gerade auf Sabbatical, nachdem er seinen Job gekündigt hat. Er lebt in Bordeaux und ist genau in unserem Alter. Bereits seit Jänner ist er auf großer Reise.
Vor einigen Wochen war er noch auf den Philippinen um zu tauchen und nun ist er bis Anfang März in Neuseeland. Mir wird schnell bewusst, dass wir gerade einen ganz besonderen Menschen kennenlernen dürfen.
Nachts in der Wildnis #
Vor dem Schlafen gehen wollen Sophia und ich noch die Sterne sehen. Draußen ist es bitterkalt. Trotzdem dauert es nicht lange, bis wir das Kreuz des Südens finden, das den Gegenpol zum Nordstern darstellt und somit die Orientierung gen Süden unterstützt.
Wir beobachten Hamish, der hier lebt und die Forest Lodge verwaltet. Er fragt uns ob wir einen schwarzen Hund gesehen hätten. Als wir verneinen meint er nur: "Oh well, she's probably out in the woods hunting possums." Dann fragt Sophia: "Do you ever get tired of this view"? und deutet auf den Nachthimmel der vor hellen Sternen nur so funkelt. "Oh this?" sagt er und schaut nach oben.
"Fuck, no. Just look at it."
Die verlorene Socke #
Am nächsten Tag wollen wir unsere erste Wanderung unternehmen. Wir werden von einem schwarzen, wuscheligen Labrador begrüßt. Korra ist total zugänglich, verspielt und sucht die menschliche Nähe.
Nach dem Frühstück muss Manu mit Entsetzen feststellen, dass eine seiner Socken über Nacht verschwunden ist. Er hatte sie am Vorabend draußen zum Lüften aufgehängt. Nun versuchen wir unsere neu gewonnene Hundefreundin die Fährte aufnehmen lassen. Leider klappt es nicht und Manus Socke bleibt für immer verloren.
Ein weitaus größeres Problem an diesem Vormittag ist das Wetter. In der Nacht haben wir schon in unseren Schlafsäcken gefroren, jetzt regnet es und die Aussichten sind schlecht.
Wir verbringen den Vormittag mit der Routenplanung des Roadtrips, bevor gegen Mittag dann doch die Sonne aus den Wolken lächelt und wir aufbrechen.
Castle Hill #
Diese Gegend zeichnet sich durch imposante Felsformationen aus Kalkstein aus. In der Sprache der Māori als "Kura Tawhiti" bekannt, haben europäische Siedler die mächtigen Steine mit Zinnen von Burgen verglichen, daher stammt auch der englische Name.
Die Felsen sind im Laufe der Jahrmillionen geglättet und abgerundet worden. Wir legen uns auf einen der Felsen und faulenzen. Wir klettern und springen von Fels zu Fels.
Wenn ich in die Ferne blicke verstehe ich, warum Peter Jackson die Herr der Ringe Serie in dieser Landschaft gedreht hat.
Der Stich #
Im nahegelegenen Castle Hill Village wartet noch eine Wanderung auf uns. Der Weg führt uns durch einen Wald in dem wir die bunte Vielfalt der neuseeländischen Vogelarten kennenlernen. Hier zwischert es nicht nur, hier schwirren auch alle möglichen Viecher herum. Und genau das wird mir zum Verhängnis, als mich plötzlich eines der besagten Viecher in den Hinterkopf sticht. Ich verstehe nicht warum das passiert, akzeptiere allerdings mein Schicksal und merke wie sich langsam eine Beule bei der Einstichstelle bildet.
Wären wir gerade in Australien, wo giftige Tiere die Landschaften dominieren, würde ich mir wohl Sorgen machen. Da wir aber in Neuseeland sind, gehe ich davon aus, dass es einfach eine selbstmörderische Biene war.
Immer der Banane nach #
Als wir aus dem Wald herauskommen, führt uns der Pfad vorbei an trockenen Grashügeln und Büschen. Ich platziere die Schale meiner Bananen auf einem der Wegpfosten und meine, sie am Rückweg wieder mitzunehmen.
Nach einer Rast, bei der wir Nüsse naschen, erzählt Simon von seiner Freundin Julie und seinem Leben in Bordeaux. Da Julie in Toulouse lebt, denkt er über einen Umzug nach.
Am Rückweg komme ich noch in den Genuss seiner Reiseanekdoten. Vietnam: billig, großartiges Essen, viel Verkehr. Philippinen: billig, fantastische Strände, tauchen. Simon hat jedenfall schon einiges von dieser Welt gesehen. Ihm gefällt am Alleinereisen allerdings nicht, dass er seine Erfahrungen mit niemanden teilen kann.
Am Rückweg schnappe ich mir, wie versprochen, die Bananenschale und es geht nach Hause.
Forest Lodge #
Beim letzten Abendessen in der Forest Lodge wachsen wir als Gruppe noch mehr zusammen.
Wir kochen ein Risotto und Manu macht sich erneut über die 5 Kilogramm Reispackung lustig, die ich am Tag davor als Reiseproviant gekauft habe.
Wir lernen noch Leonie aus Utrecht kennen, die uns viele Tipps gibt und die komplette Routenplanung des Vormittags auf den Kopf stellt.
Doch wir gehen voller Enthusiasmus in die Planung unseres nächsten Abenteuers. Und eine Route ensteht. Wir wollen über den Arthur's Pass Richtung Franz-Josef-Glacier fahren und die Tage danach über die Westküste zum Lake Wānaka fahren.
Die Forest Lodge hat uns gut behandelt. Wir haben eine erste Vorschau auf die Schönheit der neuseeländischen Natur bekommen, eine Socke verloren, die Sterne des Südens gesehen und am allerbesten: einen neuen Freund gefunden. Simon wird uns bis zum Lake Wānaka begleiten.
Forrest Lodge, wir werden dich nie vergessen. 🛖