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Niqs Reisen

Bái Đính und der unerwünschte Gast

Eine Führung durch den Bái Đính Komplex.

"Bai Dinh bedeutet übersetzt Verehrung vom Himmel und Erde am Dinh-Berg", erklärt die Fremdenführerin in überraschend fließendem Englisch. "Die Pagode wurde in Zeiten der Ly-Dynastie, im Jahre 1136 errichtet", fährt sie fort. "Kennen Sie den Unterschied zwischen einer Pagode und einem Tempel?", fragt sie die kleine Touristengruppe. "Eine Pagode ist ein Ort, welcher Buddha ehrt, während ein Tempel einen König oder Nationalhelden ehrt."

Wir stehen vor dem Eingangsgebäude von Bai Dinh, das zu den größten Stätten buddhistischer Heiligtümer in Vietnam zählt. Das Areal ist unmöglich zu Fuß zu erkunden. Abgesehen davon, dass es riesig ist und in Wiener Dimensionen die Größe des 20. Gemeindebezirks hat, lässt es auch die aktuelle Hitzewelle nicht zu, sich stundenlang in diesem Ausmaß zu bewegen. Stattdessen wird man in großen Golfwagen durch die Gegend chauffiert.

"Eine Pagode steht auf einer kleinen grünen Insel des Sees. Dahinter ragen abgerundete Berge in die Höhe."

Nachdem ich im Infocenter mein Ticket erwerbe, setze ich mich in einen der Golfwagen und lass mich, gemeinsam mit den anderen Touris, durch die Hitze, zum Eingangsgebäude von Bai Dinh fahren. Dort angekommen, begrüßt uns freundlich die Fremdenführerin und beginnt prompt ihre Tour. Ich weiß gar nicht wie mir geschieht und bin ganz überrascht, dass eine Führung im Ticketpreis inkludiert ist.

"Das Swastika ist ein Symbol des unendlichen Mitgefühls von Buddha", ist schon der nächste Funfact über den Buddhismus. Die Fremdenführerin hat noch mehr parat. Sie erklärt, dass man sich vor einer Buddha-Statue drei Mal zu verbeugen hat: die erste Verbeugung gilt dem Respekt gegenüber Buddha selbst. Die zweite gilt dem Dharma, der Lehre Buddhas. Die dritte gilt dem Sangha, der buddhistischen Gemeinde, die das Dharma aufrechterhält. Dann weist sie auf die zwei Kupferstatuen hin, die vor den Eingangstoren Bai Dinhs stehen.

"Eine Wächterstatue aus Kupfer mit grimmigem Blick. Sie trägt eine Rüstung und einen Speer. Vor ihr befindet sich ein Räuchergefäß und Opfergaben. "

"Eine Wächterstatue aus Kupfer mit freundlichem Blick. Sie trägt eine Rüstung und einen hält in ihrer Hand eine Perle in die Höhe. Vor ihr befindet sich ein Räuchergefäß und Opfergaben. "

Es handelt sich um die Wächter der heiligen Stätte, die in der chinesischen Mythologie Heng und Ha genannt werden. Heng ist der Unterdrücker des Bösen, trägt einen Speer und soll vor bösen Geistern schützen. Ha ist der Inbegriff der Weisheit, und trägt eine Perle, welche die wertvollen Lehren Buddhas repräsentieren. Vor den Statuen stehen unterschiedliche Objekte, welche die fünf Elemente des chinesischen Taoismus darstellen. Erde, Metall, Feuer, Wasser und Holz. Die ersten 15 Minuten der Führung sind bereits voller faszinierender Fakten über den Buddhismus.

Wenige Augenblicke später befinden wir uns in einem langen Korridor. Hier stehen 500 menschengroße Arhatstatuen aus Stein. Ein Arhat ist ein praktizierender Buddhist oder eine praktizierende Buddhistin, welche die Erleuchtung gefunden hat. Jede der Statuen hat ein individuell gemeißeltes Gesicht und eine einzigartige Körperhaltung. Manche lächeln, andere schauen streng. Manche halten die Arme in die Höhe und verschließen die Hände über dem Kopf, andere haben sie auf die Knie gelegt. Die Kniescheiben der meisten Statuen haben ihre ursprüngliche Farbe verloren, weil diese über die Jahre hinweg von Besuchenden berührt wurden, in dem Glauben, dass es ihnen Glück bringt.

"In einem Korridor stehen einige Steinfiguren, die teilweise ihre Arme in die Höhe heben. Ihre Köpfe sind kalt rasiert und ihre Knie haben die ursprüngliche Farbe verloren."

Die Fremdenführerin erklärt die Geschichte des historischen Buddha. "Siddharta Gautama war der Name des indischen Mannes, der den Buddhismus etabliert hatte.", sagt sie. "Er meditiere unter einer Pappel-Feige, als er die Erleuchtung fand. Jene Art von Baum wird seither allgemein als Bodhibaum (Erleuchtungsbaum) bezeichnet und auf der ganzen Welt angepflanzt." Der Korridor ist innen zu offen und schließt an einen riesigen Wald an, in dem Bäume und Pflanzen wuchern und Vögel zwitschern.

"Ein Wald voller unterschiedlicher Pflanzen, die vor sich hin wuchern."

In der Mitte des Dschungels ist ein Glockenturm. "Der Glockenturm läutet genau 108 mal, genauso wie Gebetsketten 108 Perlen haben". 108, das ist eine wichtige Zahl im Buddhismus, denn es gibt 108 Verblendungen, welche den spirituellen Wachstum und den Weg zur Erleuchtung hindern. Die buddhistische Praxis erinnert an unterschiedlichen Stellen die Praktizierenden daran.

Als wir die große Dharmahalle erreichen, werden wir darauf hingewiesen, als Zeichen des Respekts unsere Knie abzudecken. Ich bitte die Fremdenführerin um ein Foto und bringe meine Freude über die tolle Führung zum Ausdruck. Das ist zwar nett, meint sie. Doch eigentlich hätte ich bei der Führung nichts verloren. "Wie bitte!?", frage ich sie entsetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich überzeugt davon, dass die Führung im Ticket inkludiert war. "Sie sind kein Hotelgast und haben hier nichts verloren", sagt sie erneut mit Nachdruck.

"Ich stehe mit einer grauen Robe und ohne Schuhe auf dem Steinboden vor der Pagode."

Das Ganze ist mir etwas unangenehm. Ich entschuldige mich und brauche einen Moment, um zu verstehen was geschehen ist. Als ich eine Stunde zuvor aus dem Golfwagen ausstieg, bin ich einfach in die Führung hineingeraten. Ich hatte gar keine Möglichkeit, nicht Teil der Führung zu sein, bin ich sicher.

Wie es aussieht, bin ich wohl ab sofort alleine unterwegs. Ich distanziere mich von der Gruppe und besichtige die Dharmahalle auf eigene Faust. Dabei achte ich tunlichst darauf, auch ja nicht zu sehr hinzuhören, wie die Fremdenführerin einige Meter entfernt die Pagoden-Etiquette erklärt.

"Eine große Kupferstatue eines Schwans, das eine Lotusblüte im Schnabel hält. "

Danach fühle ich mich, so ganze ohne Touristenführerin, etwas verloren. Ich suche nach Golfwagen, die mich ein Stück weit mitnehmen. Ich finde zwar Golfwagen, doch sind sie alle fahrerlos. Als ich dann doch einen mit Fahrer finde, bringt mich das trotzdem nicht weiter, liegt dieser nämlich tief in einem Nickerchen versunken am Fahrersitz.

Nach einigem Herumirren finde ich doch einen Golfwagen, der mich zum Fuße des Dinh-Bergs bringt. Vor einer Höhle stehen erneut die Wächter Heng und Ha, wie sie pflichtbewusst den Zugang zu diesem heiligen Ort beschützen. Nur weiter so!

In der ruhigen und menschenleeren Höhle entdecke ich einige Buddhastatuen. Leider bekomme ich nun keine umfassenden Erklärungen mehr, was es mit dem heiligen Dinh-Berg auf sich hat und warum viele der kleinen Statuen Stoffwestchen tragen. Vielleicht sind sie einfach sehr modebewusst?

"Eine Buddhastatue und einige Holzfiguren in einer der Höhlen."

Eigentlich habe ich für heute eh genug gesehen und genug über den Buddhismus gelernt. Ob mir die unerlaubte Teilnahme an der Führung Karmapunkte abzieht und mich vom Weg zur Erleuchtung abbringt, wird sich noch zeigen.