Ich sitze am Bankerl und trinke Instant Coffee. Was Besseres gibt's nicht am Kaiteriteri Beach, wenn man so früh wach ist. Die Sonne geht gerade auf. Ich schreibe meinem guten Freund, auch Nic genannt und meinem guten Vater, auch Papa genannt.
Dem Nic jammer ich vom Reiseblues vor. Alles ist so anstrengend. Australien lassen wir vielleicht aus. Noch ein Roadtrip wäre zu viel. Dem Papa biete ich ein Telefonat an, um ihm Ähnliches zu erzählen. Aber der neuseeländische Morgen entspricht dem europäischen Abend. Papa ist im Theater. Dann halt ned!
Sophia und ich haben Sandwiches mit Erdnussbutter und Marmelade gemacht. Und ein Müsli. Frühstück am Bankerl.
Letzte Nacht haben wir manulos verbracht. Manu wollte noch mehr vom Norden entdecken. Sophia und ich sind nicht mehr aufnahmefähig.
Was ist in der letzten Woche passiert?
Montag / Baba, Kaikōura #
Als wir eine Woche zuvor von Kaikōura aufbrechen, fahren wir am Weg Richtung Norden an der Küste entlang. Wir schauen auf den Ozean und sehen Delfine, wie sie glücklich aus dem Wasser springen.
In Blenheim machen wir Halt.
Egal wo man in Neuseeland ist, zu essen gibt's immer dasselbe:
- Sausage Roll.
- Toastie.
- Kuchen.
- Burger.
- Milkshake.
Um der kulinarischen Einfallslosigkeit Einhalt zu gebieten, essen wir in einem türkischen Restaurant zu Mittag. Es gibt Kebap, Falafel, Gemüse und Hummus.
Nelson gefällt uns nicht, dafür aber unsere neue Unterkunft in Redwood Valley: Tui's Nest. Jack und seine Frau Steph sind unsere jungen Gastgeber. Sie wohnen erst seit kurzem hier.
Ihr Haus steht auf einem Hügel. Der riesige Garten bietet einen atemberaubenden Ausblick.
Ihre drei Hunde begrüßen uns freundlich:
- Wicket, Rasse: Terrier-Mischling. Charakter: verärgerter, alter Mann.
- Beau, Rasse: Viszla. Charakter: schüchterner Welpe.
- Tomo, Rasse: Spitz. Charakter: Chef aller Hunde.
Wicket ist neugierig und lässt sich streicheln.
Wir wohnen im Gästehaus nebenan.
Dienstag / Gezeiten #
Heute besuchen wir den Kaiteriteri Beach. Es soll ein fauler Tag am Strand werden.
Ich war wohl noch nie an einem Ort auf der Welt, an dem mir die Intensität der Gezeiten so sehr auffällt.
Es gibt einen Wasserstrom, den man durchschwimmen kann, um einen kleinen Strand zu erreichen, der von Felsen umgeben ist. Die Strömung ist stark, doch ich kämpfe mich durch.
Einige Stunden vergehen und plötzlich ist das ganze Wasser verschwunden. Jetzt könnte man einfach hinüberspazieren.
Die Gezeiten faszinieren mich, doch kann ich dieses Phänomen nicht ergründen.
Mittwoch / Nickerchen #
Das Gefühl, dass ich in Kaikōura hatte, macht sich heute erneut bemerkbar. Ich brauche Pause.
Also lassen Sophia und ich den Manu wandern gehen, während wir all die Dinge machen, für die man beim Reisen nie Zeit hat.
Ich lerne also Spanisch, schreibe meinen Blog, schaue Simpsons und nappe ganz viel. Dann beobachte ich den guten Beau von der Terrasse aus.
Tomo und Wicket müssen den Tag im Haus verbringen. Beau ist draußen an der Leine festgebunden.
Er sieht einsam aus, also leiste ich ihm Gesellschaft. Er hat Angst und ist sehr schüchtern. Scheinbar hat er sich mit der Leine im Busch verwurstelt. Ich befreie ihn, wofür mir seine ewige Dankbarkeit gebührt.
Fühlt sich so an, als wären wir Freunde geworden.
Donnerstag / Abel Tasman #
Das Highlight unseres Aufenthalts im Norden soll der Abel Tasman Nationalpark sein. Doch bereits während der Bootsfahrt, die von Kaiteriteri aus startet, spüre ich es wieder:
Ich brauche Pause.
Am Boot stehen alle auf, um Fotos von der schönen Landschaft zu machen. Wir fahren an Stränden vorbei, sehen das grüne Dickicht des Nationalparks, Robben die sich auf Felsen sonnen, das Blau der Tasman Bay.
Doch alles woran ich denke ist:
Ich brauche Pause.
Wir steigen bei Tonga Quarry aus, um unsere Wanderung zu starten. Viele Touristen starten ein paar Kilometer weiter nördlich, um mehrere Tage durch den Nationalpark zu wandern.
Dabei müssen diese ihren Proviant die ganze Zeit über bei sich tragen. Die Unterkünfte im Nationalpark sind schlicht und bieten keine Verpflegung. Es gibt auch keine Duschen, weshalb uns der natürliche Duft von ungewaschenem Körper immer wieder begleitet.
Ich genieße den Ausblick vom South Head auf eine einsame Insel.
Beim Medlands Beach holt uns am Nachmittag die Fähre wieder ab.
Freitag / Wendelton Guinea Pig Village #
Heute besuchen wir das "Wendelton Guinea Pig Village". Es ist ein Dorf, in dem Meerschweinchen leben, das ich zufällig in den Tiefen von Reddit entdeckt habe. Nachdem mich Neuseeland seit nun einem Monat jeden Tag dank seiner Naturschönheiten überwältigt, ist Wendelton genau die unterwältigende Erfahrung, die ich gerade brauche.
Die Erwartungshaltung stimmt, wenn man sich deren Website zu Gemüte führt, die im Stile eines lange vergessenes Zeitalters gestaltet wurde.
Dort steht:
Wendelton is seriously fun (Wendelton ist wirklich lustig)
Create a guinea pig love affair (Schaffen Sie eine Meerschweinchen-Romanze)
We supply the treats for you to feed them (Wir stellen die Leckerlis zur Verfügung, um diese zu füttern)
They will love you for it (Sie werden Sie dafür lieben)
Mit ein bisschen mehr Anstrengung hätten man locker ein Haiku daraus machen können:
Wendelton's pure fun, (Wendelton macht Spaß)
Guinea pig love affair blooms, (Meerschweinchenliebe blüht)
Treats bring joy and love. (Leckereien bringen Glück)
Mit freundlicher Unterstützung von ChatGPT.
Am Abend hat unsere Gruppe einen Konflikt. Manu ist im Abel-Tasman-Spirit. Es gibt noch mehr zu entdecken Richtung Norden! Sophia und ich sind eher im Wendelton-Spirit. Wir würden uns maximal erneut die Meerschweinchen anschauen.
Doch wir finden einen Kompromiss. Manu fährt weiter nach Takaka, wir verbringen die Nacht in Kaiteriteri.
Samstag / Hallo, Kaiteriteri #
Wir werden das Tui's Nest vermissen. Die Hunde haben wir ins Herz geschlossen. Und sie auch uns.
Mit Beau sind wir gerade richtig schön warm geworden. Inzwischen ist er sogar schon mutig genug, um hin und wieder im Gästehaus vorbeizuschauen.
Tomo hingegen war ein regelmäßiger Besucher. Als Hundeschef musste er ständig nach dem Rechten sehen.
Manu setzt uns in Kaiteriteri ab. Wir gehen schwimmen, doch es ist schon viel zu kalt. Der neuseeländische Herbst klopft an der Tür.
Am Nachmittag spazieren wir zum Kaka Point. Ich erinnere mich, dass uns diese Bezeichnung schon öfters begegnet ist. Ist ein Kaka Point für die Maori, was eine Akropolis für die Griechen ist?
Spät am Abend spazieren wir in der Ebbe.
Heute haben wir uns endlich mit den Gezeiten befasst. Diese entstehen durch Gravitationskräfte und sind maßgeblich von der Position des Mondes abhängig. Auf der Erdseite, die dem Mond zugewandt ist, herrscht Flut, weil das Wasser durch die Schwerkraft des Mondes besonders stark angezogen wird. Auch auf der gegenüberliegenden Seite der Erde herrscht Flut, verursacht durch die Fliehkraft, die durch die Rotation der Erde um die Umlaufbahn des Mondes entsteht. An den Punkten dazwischen herrscht Ebbe.
Da sich die Erde um ihre eigene Achse dreht, wandern die Flutberge mit, wodurch es an Küstenregionen bis zu zweimal pro Tag eine Flut- und eine Ebbeperiode.
Kaiteriteri ist eine gute Schule, wenn es um Astrophysik geht.
Der Norden der Südinsel #
Ich genieße diesen Morgen am Bankerl. Bestimmt sitze ich über eine Stunde hier. Dann taucht plötzlich Manu auf.
Ich weiß nicht zum wievielten Male ich dieses Phänomen seit Beginn der Reise erleben darf. Aber als ich Manu am Kaiteriteri Beach wiedersehe, ist er ein neuer Mensch. Voll mit Lebensenergie, froh, dass er alleine Autofahren war, neue Freunde gefunden hat und einmal für sich war.
Heute stellt sich heraus, dass es die allerbeste Entscheidung war, einmal getrennte Wege zu gehen.