Als großer Freund der Sternbeobachtung habe ich mich schon lange auf den heutigen Abend gefreut. Tekapo ist ein sogenanntes "Dark Sky Reserve". Die Ortschaft setzt Maßnahmen, um den negativen Einfluss des Lichts auf die Beobachtung des Nachthimmels zu reduzieren.
Sophia und ich sind absolute Profis für den Nachthimmel, besuchen wir doch seit fast zwei Jahren den Beobachtungskurs für Anfänger:innen der Kuffner Sternwarte in Ottakring.
Okay, samma uns ehrlich: wir sind Anfänger:innen, würden wir doch sonst den "Beobachtungskurs für Profis" besuchen. Wobei, brauchen Profis überhaupt einen Kurs?
Jedenfalls spielt das alles auf der gegenüberliegenden Seite der Erde kaum eine Rolle. Was die Beobachtung des Südhimmels betrifft, sind wir nämlich absolute Nockapatzl.
Tu der Unruhestifter #
Am vergangenen Abend war keine Wolke am Himmel zu sehen. Am Abend der Wahrheit (heute) scheint der Himmel förmlich ein Wolkenbad zu nehmen. Die Aussichten am Weg zu unserer Stargazing Tour sehen schlecht aus. Buchstäblich.
Beim Treffpunkt angekommen, herrscht unter den Leuten Unsicherheit. Werden wir heute die Sterne überhaupt zu sehen bekommen?
Doch dann werden wir beruhigt. Von unserem Guide.
Er strahlt Ruhe aus. Er gesteht ein, dass es sehr bewölkt ist, meint allerdings, dass es üblicherweise aufklart, wenn man mal beim Aussichtspunkt angekommen ist. Ich bin zwar skeptisch, doch wir stimmen zu.
Nachdem unsere achtköpfige Gruppe in den Van einsteigt, stellt der Guide sich vor. "Tu" ist ein Maori Name. Übersetzt bedeutet er "peacemaker" (dt. Friedenbringer).
Tu ist da anderer Meinung. "I'm actually more of a troublemaker", meint er (dt. Unruhestifter).
Der Südhimmel #
Wenn man ihm zuhört ist Tu vieles, aber Unruhestifter ist er keiner. Er drückt sich gewählt aus. Seine Worte sind sanft. Er ist neugierig und voller Lebensenergie.
Ich sitze am Beifahrersitz, als er mir erzählt, dass er mit seinen Ende 20 noch nie das Land verlassen hat. Zuerst überrascht mich das, doch nachdem ich kurz darüber nachdenke, macht es aber doch Sinn. Wenn man in einem wunderschönen Land wie Neuseeland groß wird, gibt es wohl kaum einen Grund dieses je zu verlassen.
Tu möchte auch den Rest der Gruppe kennenlernen. Er versucht das Eis zu brechen. "So where is everyone from?", stellt er seine Frage in den Passagierraum des Vans. Doch heute ist das Eis dick. Die Gruppe ist in sich gekehrt.
Am Aussichtspunkt angekommen passiert das Unglaubliche. Die Wolken sind verschwunden! Tu hatte recht.
Es offenbart sich ein fantastischer Blick auf den Südhimmel. Wir sehen tausende Sterne. Wir sehen die Milchstraße in all ihrer Pracht. Ich bin gerührt, ich bin fasziniert, ich kann mein Glück kaum fassen.
Das Universum hat noch nie so gut ausgesehen.
Das Kreuz des Südens #
Heute Abend sehen wir die hellsten Sterne des Nachthimmels. Da ist Alpha Centauri, der dritthellste Stern, im Sternbild Zentaure. Da ist Canopus, der zweithellste Stern, im Sternbild Schiffskiel. Und da ist Sirius, der hellste Stern, im Sternbild Großer Hund. Während sich die Erstgenannten unseren mitteleuropäischen Augen nie offenbaren, lässt sich Sirius regelmäßig auch am Nordhimmel blicken..
Wir sehen das Kreuz des Südens, das mich schon länger fasziniert. Die vier namensgebenden hellsten Sterne des Sternbilds sind markant am Nachthimmel sichtbar. Acrux, Becrux, Gacrux und Decrux. Die Kürzel für Alpha, Beta, Gamma und Delta ergeben gemeinsam mit dem lateinischen Namen des Sternbildes, Crux, ihre jeweiligen Namen. Deswegen heißt Alpha Centauri auch Alpha Centauri. Der Alpha-Stern im Sternbild Zentaure. Eigentlich ganz clever finde ich.
Das Kreuz des Südens wird, ähnlich dem Polarstern am Nordhimmel, für die Navigation genützt. Es ist allerdings nicht einfach nach Süden ausgerichtet. Man muss einmal in die Hände klatschen, um den Süden zu ermitteln.
Die geöffnete linke Hand hält man über das Kreuz des Südens, dann verlängert man die Achse auf der rechten Seite bis zum nächsten hellen Stern und öffnet seine rechte Hand. Jetzt klatscht man in die Hände. An dem Punkt wo sich die Hände treffen ist Süden.
Tu erzählt, dass man in der Antike das Sternbild noch von Südeuropa aus sehen konnte. Nach und nach hat es sich allerdings nach Süden verlagert. Das Kreuz des Südens ist für die südliche Hemisphäre so bedeutsam, dass es auf den Landesflaggen von Neuseeland, Australien, Papua-Neuguinea und Brasilien abgebildet ist.
Applaus für dieses tolle Sternbild!
Sterne über Lake Tekapo #
Dem Tu könnte ich Stunden lang zuhören. Und heute Abend sind wir drei seine größten Fans. Wir lachen über jeden seiner blöden Witze. Manu und ich kriegen uns kaum ein.
Die anderen Gäste fallen hingegen negativ auf.
Leuchtschuhe waren bei mir im Kindergartenalter sehr angesagt, doch ist es wohl nicht die beste Schuhauswahl für sein Kind, wenn man bei einer Sternbeobachtung teilnimmt. Hier ist nämlich gute Nachtsicht das wichtigste Gut.
Doch das ist noch nicht alles. Tu erzählt gerade voller Enthusiasmus vom am weitesten entfernten Objekt am Nachthimmel, das ohne optischer Hilfsmittel von der Erde aus beobachtet werden kann. Wir hängen an seinen Lippen, als ohne Vorwarnung und ohne jeglichem Versuch dieses unangenehme Spektakel zu verbergen, einem der Gäste ein frecher Pfurz entkommt.
An dem ungefilterten Genuss ist erkennbar, dass sich der Gast so fühlt, als wäre dieser zu Hause in seinem Wohnzimmer und als gäbe es in diesem Moment nichts Herrlicheres als einfach auf die Andromedagalaxie zu pfurzen.
Manche Leute sind schon echt deppert. 🤦