Griechenland bleibt uns in Erinnerung als Ort der Geschenke. Von der Kassiererin im Supermarkt bis zum Restaurantbesitzer in der Kantine. Wir bekommen Baklava, Sekt und griechische Süßigkeiten geschenkt. Immer wenn das passiert, erkläre ich Sophia, dass es daran liegt, dass wir so liebe Menschen sind.
Singapur wird uns wohl in Erinnerung bleiben, als Ort an dem wir viele Bekanntschaften machen. Jede der folgenden drei Geschichten beginnt mit einer negativen Erfahrung und endet mit einer positiven: einer neuen Bekanntschaft.
Roni #
Wir sitzen in der Reihe 35 unseres Flugzeugs von Athen nach Singapur. Sophia setzt sich trotz ihrer deutschen Natur an den Fensterplatz, der eigentlich laut Ticket mir vorbestimmt ist. Neben uns bleibt ein Platz frei. Wir wundern uns schon wer uns elf Stunden lang auf dieser Reise begleiten wird.
Nach wenigen Minuten kommt sie schon. Eine junge Frau in unserem Alter mit dunklen, langen Haaren, blauen Augen und FFP2-Maske auf dem Gesicht setzt sich neben uns. Wir sagen ihr kurz hallo und tauschen erst mal kein weiteres Wort aus. Noch sind wir unsicher, ob die Maske ein gutes oder schlechtes Zeichen ist?
Doch dann beginnt das Husten. Natürlich ist es okay, wenn Menschen husten. Aber seit Beginn der Pandemie bin ich ein vorsichtiger Bursche. Auf keinen Fall möchte ich mich am Weg nach Neuseeland mit diesem widerlichen Virus anstecken. Ihr wisst schon welches Virus ich meine.
Doch sie hustet. Sie hustet und hustet. Inzwischen hat sie auch ihre Maske abgenommen. Nachdem wir in der Luft sind, frage ich, ob es ihr gut geht. Ja klar, meint sie, sie hustet eigentlich immer. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen.
Nachdem wir anfangs auf Englisch sprechen, antwortet sie irgendwann auf Deutsch. Roni stammt aus Israel. Sie lebt seit 7 Jahren in Berlin.
Roni hat zwei "Hauptberufe". Sie spielt Theater und arbeitet als persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung. Außerdem macht sie Theaterpädagogik und ist Krankenhausclown. Sie erwartet sich ganz viele Fragen zu Letzterem. Tatsächlich aber bin ich viel interessierter an der Theaterpädagogik und werde wohl nie über ihre Karriere als Clown erfahren.
Edward #
Nachdem wir landen, brechen wir gemeinsam mit Roni Richtung Stadt auf. An dieser Stelle muss ich Singapurs berüchtigtes Strafrecht erwähnen. Wer sich hier nicht an die Regeln hält, muss mit saftigen Strafen rechnen.
Dem Überwachungsstaat entgeht dabei nichts. Überall sind Kameras installiert. In der U-Bahn, in Stationen, auf Essensmärkten, auf öffentlichen Plätzen. Und der Staat wird auch nicht müde, das zu betonen.
Drogendelikte werden mit der Todesstrafe geahndet. Tatsächlich hat es allein im Jahr 2023 mehr als fünf Vollstreckungen gegeben. Auch (sexuelle) Belästigung, Diebstahl, Rauchen oder Alkoholkonsum im öffentlichen Raum werden bestraft. Teilweise mit einer Geldstrafe, teilweise mit Gefängnis.
Selbst vermeintlich harmlose Delikte wie bei rot über die Straße zu laufen, oder das Mitführen einer Durian werden bestraft. Ja wirklich, es gibt Verbotsschilder für Durians in Gebäuden und der U-Bahn. Jeder der schon mal das Vergnügen hatte diesen süßlich-fruchtigen, vergammelten Geruch zu erfahren, weiß warum.
Auch das Essen in der U-Bahn wird nicht gern gesehen.
Und genau das wird Roni zum Verhängnis, als sie der Versuchung ihres mitgebrachten Roggenbrots nicht widerstehen kann. Nachdem sie ein paar Bissen genommen hat, bemerken wir ein Schild, das eine Strafe von 500 Singapur-Dollar androht.
Einem jungen Chinesen mit Brille in seinen Dreißigern, fällt das auch auf. Sophia lächelt ihm zu. Er macht eine Geste, bei der er seinen Zeigefinger vor den Mund führt. Plötzlich wirkt es so, als wäre er unser Komplize in einem Mordfall. Er lächelt zurück.
Und schon befinden wir uns mitten im Gespräch. Edward erzählt uns, dass wir unbedingt Carrot Cake probieren müssen, Kaya Toast mit pochiertem Ei und natürlich den berühmten Hainanese Chicken Rice. Er erzählt uns von Gardens by the Bay, Sentosa Island und Clark Quay. Ständig möchte er uns die unterschiedlichen Attraktionen und Delikatessen auf seinem Handy zeigen. Allerdings stellt sich das als schwierig heraus, da sein Bildschirm einerseits einen Sichtschutz hat und er andererseits wild an seinem Handy herumfummelt. Wenn er uns dann den Bildschirm entgegenhält, poppen unkontrolliert Applikationsfenster auf oder er hat so tief in ein Bild hineingezoomt, dass kaum etwas zu erkennen ist. Aber er meint es gut.
Während seinen wilden Ausführungen in gebrochenem Englisch gesellt sich eine ältere, chinesische Dame zu uns. Sie arbeitet im Asian Civilization Museum und meint, das könnten wir uns keinesfalls entgehen lassen. Gegen Ende unserer U-Bahn-Fahrt weist uns Edward noch auf das Chinese New Year hin, das am Tag unserer Ankunft beginnt. Viele Geschäfte haben geschlossen. Perfektes Timing. Eh kloa.
Tony & David #
Wir steigen in Bugis aus und spazieren nach Kampong Glam. Hier finden sich trendige Cafés, Street Art, arabische Lokale, sowie die Sultan Mosque. Meiner Meinung nach genau der Ort, an dem nach elf Stunden Flug, null Stunden Schlaf und einem Hungergefühl sein muss.
Dort angekommen, realisiere ich das Kampong Glam genau der Ort ist, an dem wir gerade nicht sein wollen: viele Touristen, teure Lokale, unfassbare Hitze.
Mein ursprünglicher optimistischer Tatendrang verwandelt sich in selbst bemitleidenden Grant.
Am liebsten hätte ich jetzt gerne eine Nussschnecke und einen Kaffee. Aber wir sind in Singapur und ich verstehe noch nicht ganz, wie Frühstück in diesem Land funktioniert.
Nachdem wir viel zu lange mit unseren viel zu schweren Backpacks durch die Hitze irren, gehen wir in ein viel zu teures libanesisches Restaurant und essen Tabouleh und einen arabischen Salat zum Frühstück.
Kommt nicht ganz an meine Nussschnecke ran, aber wenigstens ist es hier klimatisiert. Sophias Talent für die Photografie fängt meine Qual in diesem Moment einmalig ein.
Nachdem wir uns eingestehen, dass wir heute zu nichts mehr fähig sind, trennen wir uns von Roni und entscheiden uns in ein nahegelegenes Einkaufszentrum aufzubrechen. Einen Kaffee und die sanfte Brise einer Klimaanlage, mehr wollen wir nicht.
Dort angekommen hat dieses natürlich geschlossen, schließlich beginnt heute das chinesische neue Jahr. Wir müssen sehr verzweifelt und verloren aussehen, als uns eine nette Dame in ihren späten Fünfzigern entdeckt. Wo wir hin wollten, fragt sie uns mit australischem Akzent. Als sie bemerkt, dass wir das selbst nicht so genau wissen, lädt sie uns prompt zu sich auf einen Kaffee ein.
Direkt im Einkaufszentrum befinden sich ein Apartmenthotel. Wir fahren mit Tony in den 45. Stock des Gebäudes. Kurz darauf finden wir uns in ihrer Wohnung wieder. Am Tisch sitzt David, ihr Ehemann. Er wirkt so, als wäre er sehr gewöhnt daran, dass ihre Frau zum Brot holen die Wohnung verlässt um dann brotlos aber dafür mit fremden Menschen zurückkehrt.
Als wir uns ihm vorstellen, befindet er sich schon inmitten eines Satzes über die Highlights von Singapur. Wir stellen uns auf den Balkon, von dem wir einen fantastischen Blick über die Stadt bekommen. Wir sehen Kampong Glam von oben, die Skyline von Singapur und die Inseln vor der Stadt. Es gibt das arabische Viertel, Chinatown und Little India. Entsprechend teilt sich übrigens auch die Bevölkerung des Stadtstaates auf: Chinesinnen, Malaien und Inderinnen.
David ist ein wandelndes Touristenbüro. Er kennt jedes Detail über die Stadt. Was man sehen muss, wie man dort hinkommt, welchen Ausgang der U-Bahn man nehmen muss, wann die beste Zeit für welche Attraktion ist, was man zur Feier des chinesischen neuen Jahres machen soll, welche Geschäfte geschlossen haben, wo er am liebsten isst, wie gut die Öffis hier funktionieren, wie teuer es ist, ein Auto zu kaufen (sehr, sehr, sehr teuer) und was man tun muss, um in dieser Hitze zurechtzukommen (viel trinken, Schatten, wenig bewegen). Kaum entsteht eine Gesprächspause, fällt David schon das nächste Thema ein.
Wir teilen unsere Pläne, den "Tiger Balm Freizeitpark" zu besuchen. Sofort fällt ihm die richtige Bezeichnung des Ortes ein (Haw Par Villa), wie man dort hinkommt, was es dort zu sehen gibt und dass es einen Besuch wert ist. Es gibt kaum etwas, dass David nicht weiß.
Tony bäckt uns Brötchen auf. Eigentlich möchten wir schon aufbrechen. Doch sie lässt uns nicht gehen. Also essen wir Aufbackbrötchen mit Schinken, Ei und Marmelade. Wir reden über Australien. David wohnt in Singapur, seine Frau Tony besucht ihn regelmäßig, lebt aber in Sydney. Auch hier gibt es einen Tipp für uns: die Blue Mountains, westlich der Stadt. Als informierte Wanderer ist uns das natürlich schon bewusst, aber es ist schön, das von jemanden wie David bestätigt zu bekommen.
Wie man Menschen kennenlernt #
Es ist schon unfassbar oder? Zuerst wird gehustet und wir lernen Roni kennen. Dann wird verbotenes Brot in der U-Bahn gegessen und wir lernen Edward kennen. Dann laufen wir am Ende unserer Kräfte durch das arabische Viertel und wir lernen Tony & David kennen.
Reisen ist schon etwas Wunderschönes. 💫